2 Elektroöfen mit 100 und 30 t Abstichgewicht ergänzten das
Qualitätsprogramm um höherlegierte Qualitäten und auch um solche
Qualitäten, die jeweils nur in geringerer Menge gebraucht wurden. Beide
Öfen wurden seinerzeit entstaubt und mit dem LD-Konverter in gemeinsamer
Halle aufgestellt.
Der Befriedigung besonders hoher Ansprüche an den Stahl dienten zwei
Einrichtungen, die dem Forschergeist der Rheinstahl Hüttenwerke
entstammten. Der Rheinstahl-Quirl zur Entschwefelung des Roheisens und
die Ruhrstahl-Heraeus Stahlentgasungsanlage.
Der Quirl war für die Herstellung der extremen Schmiedeblöcke,
150 t und mehr, schon praktisch nicht mehr wegzudenken, weil Forderungen
von je max. 0,008 % Phosphor und Schwefel erfüllt werden mussten.
Die alte RH-Entgasungsanlage aus 1961 -- unentbehrlich für
Schmiedeblöcke und hochwertige Bleche zur Ausschaltung der Flockengefahr
durch Wasserstoff -- wurde durch eine größere Anlage ersetzt, die neben
ihrer auf 150-t-Schmelzen zugeschnittenen Größe zusätzliche
metallurgische Möglichkeiten eröffnete.
Eine besondere Marktstärke versprach man sich aus der Kombination LD + E 100 oder E 30 und Vakuumanlage + Strangguss für die Herstellung
höher legierter Strangriegel für Grob-, Mittel- und Feinbleche der
ATH-Gruppe. Für höherwertige Schmiedestücke und für legierten schweren
Stahlguss war das Kombinieren von nickel- oder unlegiertem LD-Stahl mit
einer höher Chrom- usw. -haltigen Schmelze aus dem Elektroofen
inzwischen zur üblichen Praxis geworden.
Die damalige Jahreskapazität des Stahlwerks belief sich auf rd. 1,2 Mio.
Jahrestonnen LD- und knapp 200.000 t Elektrostahl.
Das Blechwalzwerk enthielt seit 1956 die bewährte 4,2 m-Straße,
geeignet für Blechdicken von 7 mm aufwärts bis zu praktisch unbegrenzter
Dicke, z. b. 200 mm oder mehr. 10 Tieföfen und 1 Stoßofen standen zur
Aufheizung des Rohmaterials, 2 Durchlauf- und 3 Festherdöfen zur
Wärmebehandlung der Qualitätsbleche zur Verfügung. Eine Spezialität der
Straße stellten so genannte Dickbleche dar, das waren Bleche ab etwa 40
mm Dicke, die nicht mehr mit Scheren geschnitten, sondern die mit
Sauerstoff auf eigens dazu vorhandenen Anlagen gebrannt wurden.
Das 2,8 m-Walzwerk war seit 1966 in Betrieb, ebenfalls sehr kräftig
ausgelegt und dazu so schnell, dass 40 m lange Bleche erzeugt werden
konnten. Außer einem Stoßofen war ein Hochbalkenofen vorhanden zur
Wärmung von Walzgut aus Edelstahl.
Die damalige Investition dieser Straße galt wegen des hohen Aufwandes
als wirtschaftlich problematisch, obgleich die vorgeplanten
Nennleistungen bei weitem überschritten wurden. Breitbandstraßen machten
mit ihren Erzeugnissen, z. B. mit Blechen aus Breitband bis 2 m Breite
und mit ihren günstigeren Kosten den Markt streitig. Deswegen waren die
Bemühungen des Vertriebs, sowohl im Qualitätsblech wie auch im
Edelstahlbereich, darauf angesetzt, solche Bleche zu akquirieren, die
aus Warmband nicht oder nicht wirtschaftlich geschnitten werden konnten,
sei es aus Gründen der Qualität, der Losgröße, der Sonderbehandlung oder
der Abmessung, natürlich mit dem Ziel höherer Erlöse je t. Ein solches
Programm stellte enorme Forderungen an Betrieb und Arbeitsorganisation.
Die wirtschaftliche Beurteilung der Hattinger Blecherzeugung ging von
der Tatsache aus, dass in guten wie schlechten Zeiten ein
abmessungsmäßig sehr variables und qualitativ besonders hoch stehendes
Programm gefahren wurde. Die betrieblichen Voraussetzungen dazu
waren in mancher Hinsicht besser als bei der einschlägigen Konkurrenz,
eine Tatsache, die sich auch bei den Herstellkosten positiv bemerkbar
machte. Zwar war die Tonne fertiges Blech über Hochofen- und
LD-Stahlwerk mit knapp 5,-- DM vorbelastet durch die höhere Erzfracht
zum Binnenland (3,50 DM/t Erz); diese 5,-- DM/t Blech wurden aber
wettgemacht durch die Möglichkeit höherer Schrottanteile und
Stahlwerksschlackensätze im Hochofenmöller (höherer zulässiger Gehalt an
Spurenelementen), durch hohe Stranggussanteile, günstige räumliche Lage
aller Betriebe zueinander und durch einfache Laufwege innerhalb der
Walzwerksbetriebe für alle Abmessungen und Qualitäten.
Kennzeichnend für das 1960 neu erbaute Kümpelwerk war seine
überhöhte und als Folge davon weitgehend leerstehende Kapazität, vor
allem seitdem im Jahr 1970 der Stofffluss in den Prüf- und Versandhallen
durchorganisiert wurde. Eine aktive und aggressive Verkaufspolitik und -tätigkeit
hatte den Umsatz an Kümpelteilen dennoch an die zweite Stelle der BRD
gehoben.
Der
Betrieb arbeitete unmittelbar zusammen mit dem Kümpelwerk in Oberhausen.
Schrittweise wurde eine optimale Programmaufteilung erstrebt. Einen
Schwerpunkt im Hattinger Programm stellten die Segmente für große
kugelförmige Behälter, sog. Containments, dar.
Mit der
Biegewalze des Kümpelwerkes wurden u. a. die Bleche für jene
Offshore-Rohre geformt, die der Schweißbetrieb in der gleichen Halle
fertigte.
Ein anderer Betrieb, der ebenfalls die Hallen des
Kümpelwerkes nutzte, arbeitete für die einige Jahre zuvor zusammen mit
Rheinstahl Export gegründete Rheinstahl-Blech-Service GmbH, später
Tochter des Stückblechkontors.
Zur Abrundung des Kümpel- und
Pressteilprogramms waren einige Verabredungen zur Kooperation getroffen
worden. Diese versetzten das Werk in die Lage, bestimmte Erzeugnisse,
wie Wellrohre, dünne gerollte rostfreie Böden u. ä. dem Markt
anzubieten, ohne dass dafür eigene Investitionen erforderlich waren. Die
jeweiligen Partner kamen zu höheren Auslastungsgraden ihrer Anlagen, d.
h. zu niedrigeren Kosten, und sie verbrauchten als Gegenleistung auch
für ihre eigenen Zwecke Bleche aus der Henrichshütte.
Der
Schweißbetrieb stellte eine im Jahre 1970 vorgenommene Konzentration
aus dem alten sog. Apparatebau dar. Das mit ihm verbundene umfängliche
Ingenieurbüro "Ruhrstahl-Apparatebau GmbH" war damals aufgelöst bzw. an
das Werk in Witten-Annen abgegeben worden. Es hatte sich herausgestellt,
dass es sehr schwierig war, einen Apparatebau langfristig ertragbringend
zu betreiben. Im Prinzip war es wohl einfach so, dass zu wenige teure
Spezialanlagen zu einer solchen
Fertigung
gehörten, und dass infolgedessen zu viele Konkurrenten sich gleichzeitig
auf dieses nach den Statistiken und Marktauswertungen durchaus
wachstumsträchtige Gebiet geworfen hatten. Ein vernichtender Preiskampf
war die Folge gewesen, der z. B. zu der spektakulären Aufgabe der
nagelneuen Apparatebaufertigung Pintach Bamag in Voerde geführt hatte.
Seither fertigte der Schweißbetrieb Bauteile und Komponenten aller Art,
Gehäuse, Offshore-Konstruktionsrohre u. ä. sowie die hier traditionellen
Mehrlagenbehälter, diese als Lohnauftrag für die Annener Ruhrstahl
Apparatebau GmbH. Er hatte die besondere Weisung, vor allem nach solchen
Aufträgen Ausschau zu halten und sich mit ihnen am Markt zu profilieren,
bei denen Kombinationen aus Blechen, Schmiedestücken und Stahlguss
vorkamen, alle drei Produkte also, die am Ort gefertigt wurden.
Tatsächlich mehrten sich im Laufe der Jahre die Stücke solcher Art,
wobei zum Teil der Schweißbetrieb auch in Dienstleistung für die
Stahlgießerei arbeitete, wie z. B. bei den großen Schiffssteven für
Bremer Vulkan.
Neben
diesen Aufgaben als Produktionsbetrieb erfüllte der Schweißbetrieb noch
eine weitere wesentliche Aufgabe, die nach übereinstimmender Meinung
aller Beteiligten, vor allem des Blechverkaufs, von erheblicher
Bedeutung war. Er war geeignet und aufgerufen, in eigenen Werkstätten
und an eigenen Erzeugnissen den Erfahrungsschatz, das Know-how zu
gewinnen, das der Spezialblechkunde und das auch die abnehmende und
beurteilende Behörde als selbstverständliche Beigabe zu höheren
Blechgüten verlangte. Dass auch für Stahlguss und für Schmiedeteile
gelegentlich ein Großeinsatz von Schweißern erforderlich war, sei am
Rande erwähnt.
Die
Formfläche der Hattinger Stahlgießerei war 1971 beträchtlich
vergrößert worden; mit Betriebsbeginn des LD-Tiegels war Raum im
Stahlwerk frei geworden. Hier war seit Juni 1971 auch ein Glühofen in
Betrieb, der Teile bis 9 m Durchmesser aufnehmen konnte.
Wirtschaftlich konnte das Erzeugnis Stahlguss der Henrichshütte durchaus
als wettbewerbsfähig und -- bei vernunftdiktiertem, nicht geradezu
ruinösem Preisgebaren der Konkurrenten am Markt -- als gesund gelten.
In
dem hier vorherrschenden Gewichtsbereich war -- mindestens in Europa --
kein Betrieb bekannt, der bessere Voraussetzungen mitbrachte, sei es auf
der Rohstahlseite, sei es in den Fertigungsmethoden und -einrichtungen.
Eine Ausweitung in höhere, auch legierte Qualitäten, war in kleinen
systematischen Schritten im Gange.
Eine gute Abstimmung mit den Kundengießereien der Rheinstahl Gießerei AG
war aus mehreren Gründen richtig. Vor allem der Überschneidungsbereich
bis 60 t bedurfte besonderer Aufmerksamkeit, denn ein auf Schwerguss
abgestellter Betrieb wie die Henrichshütte brauchte neben den großen
Stücken auch solche mit geringerem Volumen, um das Abstichgewicht der
vorgeschalteten Schmelzaggregate auszunutzen.
Ferner dürfte es im Regelfall unzweckmäßig gewesen sein, an anderer
Stelle der ATH-Gruppe größere Stücke durch Aneinanderschweißen
herzustellen, wenn Hattingen das Stück in einem Guss erzeugen konnte.
Für den Schmiedebereich war das Gesicht mit Fertigstellung der
1.000-Mp-Presse und des Ringwalzwerkes in 1971 auf längere Zeit hinaus
geprägt. Alle 5 Hämmer, z. T. aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts
stammend, und die 4 alten Ring- / Bandagenwalzwerke gehörten der
Vergangenheit an. Mit 4 abgestuften Pressen, 6.000, 3.000, 2.000 und
1.000 Mp und mit
der
Kombination aus 3.500-t-Stauchpresse plus Räderwalzwerk (1/3) und
Ringwalzwerk (2/3 der Zeit) stand eine starke, konzentrierte,
anpassungsfähige und im Ganzen gesehen auch hinreichend moderne
Erzeugungskapazität zur Verfügung, die jeder Konkurrenz gewachsen war.
Ausreichende und an günstigen Stellen installierte Brennschneidanlagen
erlaubten bis zu sehr großen Querschnitten die Anwendung der damals
modernen Fertigungsmethoden.
Ringwalzwerk
max. 6 m Durchmesser
max. 10 t Ringgewicht
Die Vergüterei enthielt in 5 Betriebshallen alle wesentlichen
Öfen und Abschreckeinrichtungen für die Herstellung hochwertiger
Schmiedestücke aller Art. Hier waren in punkto Wirtschaftlichkeit wegen
des Alters (Wärmeverbrauchs) von rd. 1/3 der 40 Öfen und Gruben noch
Wünsche offen.
Senkrecht konnten nur Stücke
bis max. 55 t vergütet werden,
damals ein Nachteil gegenüber
Japan und USA, der mit der
Senkrechtvergüterei in Reisholz
(100 t) etwas abgemildert wurde.
Die
von der eigenen Forschungsabteilung entwickelte
Elektro-Schlacke-Umschmelzanlage für Gewichte bis 12 t, in einer
Seitenhalle der Vergüterei 7 provisorisch aufgestellt, hatte sich als
Erfolg erwiesen. Der Vorsprung der Henrichshütte bei Kalanderwalzen mit
höchster Oberflächenreinheit hatte z. B. hier seine Ursache. Die Anlage
war durch eine weitere Einheit mit 60 t ergänzt worden.
Die Hattinger Bearbeitungswerkstätten beherbergten rd. 180, zum
Teil aber veraltete Werkzeugmaschinen. Die Aktivitäten der
Bearbeitungswerkstätten wurden stets im Zusammenhang mit den übrigen
Betrieben der Hütte gesehen. Durch diese Tatsache unterschieden sie sich
grundsätzlich von den Maschinenfabriken aller Art, bei denen stets ein
aus
vielen verschiedenen Einzelteilen zusammengesetztes komplexes Erzeugnis
im Mittelpunkt der Betrachtungen und Planungen stand, während das
Einzelteil selbst in seiner Bedeutung zurücktrat. Bei einem Erzeuger von
Halbfabrikaten und
Zulieferteilen
wie der Henrichshütte stand dagegen das Einzelteil im Vordergrund der
Betrachtung, seine über alle Betriebe hinweg gerechnete günstigste
Herstellung, seine für den Verwendungszweck geeignete Qualität (Stoff
und Form) und seine pünktliche Auslieferung, wobei in allen Fällen der
Kunde den Anforderungskatalog bestimmte.
Das ring- und scheibenförmige Werkstück, gewalzt, geschmiedet,
gegossen oder geschweißt, als erstes gemeinsames Schwerpunktprodukt
aller Hattinger Betriebe fand in den Bearbeitungswerkstätten seinen
Niederschlag in Form von Karussell- und Plandrehbänken aller Größen,
Ausführungsformen und Tragfähigkeiten.
Das im Wesentlichen auf Bohr- und Fräseinheiten zu bearbeitende
prismatisch oder unregelmäßig gestaltete Werkstück stellte den
zweiten gemeinsamen Schwerpunkt der verschiedenen Betriebe dar. Noch
mehr als zuvor sollte
die Henrichshütte als Vorlieferant für Teile solcher Art in das Bewusstsein
der Maschinenfabriken, Werften usw. treten. Die traditionell gute
Auslastung der Werkstätten mit Waagerecht-Bohr- und Fräswerken wurde in
diesem Zusammenhang durch Portalfräsmaschinen modernster Art
vervollständigt.
Die Radsatzfertigung war ein traditionelles Betätigungsfeld der
Hütte, das durch die über Rheinstahl bestehende Verbindung zur
Waggon-Union in Berlin und Siegen zusätzliche Bedeutung aufwies. Die
seinerzeit veralteten Bearbeitungsmaschinen waren 1973 durch rationell
arbeitende Verkettungsanlagen ersetzt worden.
Als vierter Schwerpunkt galt die Bearbeitung langer
rotationssymmetrischer Teile. Da moderne Spitzendrehbänke aller Art
(NC) in der damals neuen Bearbeitungswerkstatt in Reisholz in
ausreichendem Maße zur Verfügung standen, konzentrierte man sich für den
Hattinger Standort auf solche Rotoren, Walzen, Wellen, Rollen usw., die
entweder aus Gründen der Stahlqualität oder des Gewichtes oder aus
beiden Gründen nur dort hergestellt werden konnten.